Neben dem Jubiläum des Ersten Bandes des Kapitals findet dieses Jahr ein weiterer Jahrestag statt, der innerhalb linker Strukturen einen großen – meist wenig emanzipatorischen – Bezugspunkt darstellt: Die Oktoberrevolution 1917.
In der heutigen Geschichtsschreibung ist die Gleichung „Kommunismus = Bolschewismus und/oder Stalinismus“ meist ein festgeschriebenes Gesetz. Der Begriff Kommunismus wird so mit Gewalt und Terror assoziiert und stehe, so bürgerliche bis hin zu faschistischen Stimmen, der Freiheit per se entgegen. Die freie Marktwirtschaft komme hingegen ohne Gewalt aus und wird, nicht erst seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als alternativlos dargestellt. Bei der Darstellung vermeintlich „kommunistischer“ Staaten, wie der Sowjetunion oder der DDR, geht es vielmehr um eine Abhandlung des Extremismusmodells und um Propaganda gegen den sogenannten „Linksextremismus“, als um die Erklärung, Analyse und Kritik stalinistischer (Staats-)Gewalt und Herrschaft.
Diese begann auch nicht erst mit der Oktoberrevolution, sondern hatte ihren Ursprung bereits in den theoretischen Fehlananahmen des traditionellen Marxismus. Um diese zu ergründen muss eine sich als emanzipativ verstehende Linke ihren kritischen Blick auf die eigene Geschichte und die eigenen Kämpfe richten. Dieser Blick ist untrennbar mit den verschütteten Theoretiker_innen verbunden, die mit ihren scharfen Analysen autoritäre Potenziale in der Theorie und Praxis der Bolschewiki früh erkannten und sichtbar machten. Es sind Menschen wie Emma Goldmann, Alexander Berkman, Aaron und Isaak Steinberg oder auch Rosa Luxemburg, die uns einen Einblick in diese revolutionären Prozesse bieten, abseits stalinistischer Geschichtsfälschung und bürgerlicher Ideologie. Sie hielten, trotz der sich abzeichnenden und immer klarer werden autoritären Okkupation der Oktoberrevolution, stets an einer Notwendigkeit radikaler Befreiung fest. Diese radikale Befreiung kann jedoch nicht erfolgreich sein, ohne eine Reflexion darüber, wozu Menschen unter Herrschaft und Unfreiheit fähig sind. Insbesondere in revolutionären Zeiten und unter dem Banner der Revolution.
Auch mit Blick auf ein Wiederaufleben von traditionellen Marx-Lesarten in autonomer Organisierung, die in die Herrschaftsaffirmation des Realsozialismus führten und münden, erscheint es uns notwendig, die links-autoritären Fehlentwicklungen in der Oktoberrevolution zu analysieren, zu kritisieren und uns ihren Apologet_innen und Wiedergänger_innen entgegenzustellen.
Daher stellen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen und der SJD – Die Falken Bezirk Hannover eine Veranstaltungsreihe auf die Beine:
Zu Beginn richtet Jörn Schüttrumpf den Blick auf die 1918 in der Stuttgarter Zeitschrift „Der Sozialdemokrat“ geführten Debatte über die Oktoberrevolution. Anhand dieser lassen sich der Verlauf und die Rezeption der Oktoberrevolution in der deutschen Linken aufzeigen, die auch Rosa Luxemburgs Auseinandersetzung mit dem Bolschewismus prägte und sie dazu veranlasste, sich kritisch mit dieser auseinanderzusetzen. Der Vortrag findet am 18.10. um 20 Uhr im UJZ Korn statt.
Darauf folgend zeigt Hendrik Wallat, anhand des vergessenen linken Intellektuellen Aaron Steinberg, die Bandbreite von Bolschewismuskritik. Im Gegensatz zu den oben genannten bürgerlichen Ideolog_innen ist Steinbergs Motivation für die Kritik des Bolschewismus jedoch eine, deren Ausgangspunkt die vom jüdischen Messianismus geprägte Vorstellung von universeller Befreiung und sozialer Revolution ist. Somit wird auch die spezifische Verbindung von Religion und Politik bei ihm Thema sein. Der Vortrag findet am 22.11. um 18 Uhr im Elchkeller statt.
Alexander Berkram und Emma Goldman wurden 1920 mit 247 weiteren politischen Gefangenen aus den USA in die junge Sowjetunion abgeschoben. Neben einer kurz andauernden Phase der Euphorie und Hoffnung, schlug diese nach der Niederschlagung des Kronstädter Aufstands schnell in Ernüchterung über die autoritäre Wende der Revolution um. Über die Kritik der Beiden an dieser autoritären Wende referiert Bini Adamczak am 13.12. um 20 Uhr im UJZ Korn anhand ihres gleichzeitig erscheinenden Buches.
Über die Dauer des Wintersemsters 2017/2018 wird Hendrik Wallat die Kritik am Bolschewismus in einer autonomen Vorlesung vertiefend weiterführen. Beleuchtet werden soll, neben den schon erwähnten Theoretiker_innen, auch die Vielzahl von Autor_innen, die im linken Gedächtnis in Vergessenheit geraten sind, um nicht zuletzt die Erinnerung an die Notwendigkeit von Befreiung wachzuhalten. Ab Mittwoch den 18.10. von 16-18 Uhr im Elchkeller.